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Arktis und Antarktis

Das große Schmelzen

© Greg leCoeur

Klimaveränderung, Erderwärmung, Meeresspiegelanstieg – diese Themen sind heute allgegenwärtig. Zu recht, denn hochbrisant. Unmittelbar und am stärksten betroffen sind die Lebensräume um Nord- und Südpol. Aber nicht nur Eisbären und Pinguine könnten bald den Boden unter den Füßen verlieren! Ein kurzer Überblick über das doch nicht „ewige“ Eis.

Text: Wolfgang Pölzer

Pinguine in der Antarktis
Der Klimawandel bedroht die Pinguine in der Antarktis. Foto: Dylan Shaw/Unsplash

Durch Fossilfunde und Untersuchungen von Bohrkernen ist bekannt, dass vor 200 Millionen Jahren Dinosaurier das heutige Grönland durchstreift haben und während der Kreidezeit vor rund 90 Millionen Jahren der Antarktische Kontinent von Regenwald bewachsen war. Der derzeit vielzitierte CO2-Gehalt der Atmosphäre hat zu Dinosaurierzeiten vermutlich bei dem 10-fachen Wert von heute gelegen und war im Laufe der Erdgeschichte von großen Schwankungen betroffen. Ebenso der Meeresspiegel, der in der warmen Kreidezeit noch um mehr als 100 Meter höher war als heute. Doch die bisherigen Schwankungen verliefern im Verlauf von Jahrmillionen – also extrem langsam – niemals jedoch so schnell wie in den letzten 50 Jahren.

Derzeit schmelzen nach satelliten-gestützten Messungen von beiden Polkappen zusammen über 400 Gigatonnen Eis pro Jahr. Das bewirkt einen Anstieg des globalen Meeresspiegels von etwa 3,5 Millimeter. Prognosen zufolge könnte sich das jedoch bis Ende des Jahrhunderts auf bis zu 20 Millimeter pro Jahr steigern. Dann würde das Wasser in weniger als drei Generationen um einen Meter höher stehen als heute. Was das für mindestens 100 Millionen Menschen in Küstenregionen weltweit bedeuten würde, mag man sich gar nicht auszumalen.

Wie schnell die Polkappen in den nächsten Jahren tatsächlich schmelzen, wann es zu gravierenden Veränderungen der weltumspannenden Meeresströmungen kommt und wann das gesamte Wettergeschehen uns mit weitreichenden Klimaveränderungen straft, ist auch mit modernsten Computermodellen derzeit nur schwer im Voraus berechenbar. Wissenschaftler aus aller Welt arbeiten seit Jahren unter Hochdruck daran, das äußerst komplexe, weltumspannende System besser zu verstehen.

Dass die einzigartigen polaren Lebensräume davon als erstes betroffen sind und geschützt werden müssen, das wissen wir. Trotz monatelanger Polarnacht und Temperaturen bis zu minus 65 Grad Celsius, existieren hier viele Tierarten, die auf das Eis angewiesen sind und bald ihren Lebensraum verlieren könnten. Eine noch deutlich größere Fülle von Leben herrscht im Meer, dessen Temperatur sich hier lediglich zwischen minus 1,9 und plus 5 Grad bewegt. Viele Organismen haben sich im Laufe der Evolution an diese recht konstanten Bedingungen perfekt angepasst – sie könnten selbst kleinste Veränderungen nur schwer oder gar nicht kompensieren.

Die Eisberge am Südpo schrumpfen in bedrohlichem Ausmaß. Foto: Dylan Shaw/unsplash

Frostschutz und Wärmetauscher

Über 150 Arten der Antarktisfische (Notothenioidei) bevölkern das Südpolarmeer rund um die Antarktis von der Oberfläche bis in die Tiefsee. Die zu den Barschverwandten zählenden Fische verfügen über ein Art Frostschutzmittel, welches das Blut in ihren Adern nicht gefrieren lässt. Ihr Geheimnis sind spezielle Anti-Frost-Proteine, die sich an winzigste Eiskristalle heften und deren Wachstum verhindern. Das Problem von gefrierendem Blut wird hier also quasi schon im Keim erstickt. Da sie mehr als drei Viertel aller Fischarten in der Antarktis ausmachen, erfüllen sie für Räuber wie Pinguine, zahlreiche Wal- und Robbenarten im Ökosystem eine äußerst wichtige Funktion als Nahrungsgrundlage. Ganz ähnliche Anti-Frost-Proteine haben übrigens auch Fische in der erst Millionen Jahre später vereisenden Arktis entwickelt.

Wale, Robben, Eisbären und Pinguine schützen sich vor den niedrigen Temperaturen durch eine dicke Fettschicht, einen flauschigen Pelz, spezielle Federn sowie teilweise durch ein hoch effizientes Wärmetauschsystem . Bei letzterem heizt das warme, aus dem Körperinneren strömende Blut nach dem Gegenstromprinzip das deutlich kältere Blut der Körperperipherie auf.

Eisbären

Der wohl prominenteste Vertreter der polaren Fauna ist der Eisbär, der unfreiwillig zum Synonym für Klimawandel und Erderwärmung geworden ist. Ihm bricht quasi der Boden unter den Füßen und damit der Lebensraum weg, da er stark auf das zunehmend schwindende Packeis angewiesen ist. Nur hier ist es ihm möglich Robben – seine Hauptnahrung – zu erbeuten. Im Gegensatz zu anderen Bärenarten hält er deswegen auch keine Winterruhe, denn im Winter ist die Hauptzeit, um Robben zu jagen. Nur dann kann er sie an ihren Atemlöchern überraschen und erbeuten. Im eisfreien Wasser hingegen hat er kaum eine Chance. In den zunehmend längeren Zeiten ohne Meereis muss er von seinen Reserven zehren. Er übersteht dabei auch monatelange Fastenzeiten. Um nicht zu verhungern, nimmt er dann sogar pflanzliche Nahrung wie Seetang oder Beeren zu sich. Zusätzlich können Kadaver, Vogeleier und Fische seinen Speiseplan ergänzen, um über die karge Sommerzeit zu kommen.
Experten zufolge wird sich die Art jedoch langfristig gesehen nicht auf andere Nahrungsquellen umstellen können und spätestens mit Verschwinden des Arktischen Meereises aussterben.

Schwimmender Eisbär Arktis
Den Eisbären in der Arktis steht das Wasser buchstäblich bis zum Hals. Foto: Annie Spratt/Unsplash

Planktonpower

Die enorme Bedeutung von pflanzlichen Einzellern im Meer (Phytoplankton) wurde lange Zeit unterschätzt. Erst vor wenigen Jahren konnte berechnet werden, dass marines Phytoplankton für rund die Hälfte der weltweiten Sauerstoffproduktion verantwortlich und damit absolut (über-)lebenswichtig für uns alle ist. Als Primärproduzenten bauen Planktonalgen mittels Photosynthese organisches Material auf, das die Basis der Nahrungskette und somit die Grundlage für jedes weitere Leben bildet. Das Wachstum der winzigen Algen wird vorwiegend von Licht und Nährstoffen limitiert, es explodiert förmlich als Planktonblüte im Arktischen und Antarktischen Frühling mit der Zunahme von Tageslänge und wärmeren Temperaturen. Vor allem an und unter den dann schmelzenden Eisrändern mit unzähligen kleinen Bereichen von aufschwimmendem Süßwasser finden sie optimale Wachstumsbedingungen.

Aber auch in der kälteren Jahreszeit, vermögen einige Planktonalgen trotz der extrem geringen Lichtmenge zu überleben. Und zwar in den winzigen Kanälen, die sich beim Gefrieren von Meerwasser bilden. Ein bis zu fünffach höherer Salzgehalt sorgt hier auch bei weniger als minus 20 Grad für flüssiges Wasser und bietet den Algen zudem Schutz vor größeren Fressfeinden. Anti-Frost-Proteine sind auch hier beteiligt, um die Einzeller nicht erfrieren zu lassen. Um jedoch unter solch extremen Bedingungen überhaupt Photosynthese betreiben zu können, ist ein zusätzliches „Wundermittel“ nötig, das letztendlich über die Nahrungskette auch uns zugute kommt. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren – wie etwa Omega 3 – halten die Membranen der Zellorganellen geschmeidig, die für die Photosynthese zuständig sind.

Phytoplankton bildet die Grundnahrung für das nächste – nicht minder wichtige – Glied in der Nahrungskette, den Krill. Die gerade mal wenige Zentimeter großen Planktonkrebse aus der Ordnung der Leuchtgarnelen stellen bezüglich ihrer Biomasse eine der erfolgreichsten Tierarten unseres gesamten Planeten dar. Sie bilden nicht nur die Nahrungsgrundlage zahlreicher Fischarten, Tintenfische, Pinguine und Robben, sondern auch von Walen bis hin zum größten lebenden Tier der Welt – dem Blauwal.

Die Planktonkrebse nehmen aber auch aus einem weiteren Grund eine Schlüsselrolle im gesamten Ökosystem ein. Durch ihren kurzen, wenig effizienten Verdauungstrakt enthält ihr Kot eine große Restmenge an unverdauten Algen, die als wichtige Nahrungsquelle und Kohlenstoffspeicher in die Tiefsee absinkt. Damit fungiert Krill quasi als riesige Kohlenstoffpumpe, die das von den Planktonalgen aufgenommene CO2 in die Tiefsee befördert und damit fixiert.

Problematisch könnte es werden wenn der CO2-Gehalt in unserer Atmosphäre weiter steigt und damit der PH-Wert im Meer sinkt – also das Meerwasser zunehmend saurer wird. Ebenso wie Korallenriffe an geringerem PH-Wert leiden, weil Kalk immer schwieriger in ihre Skelette eingelagert werden kann, leidet auch der Krill darunter. Vor allem bei seinen regelmäßigen Häutungen muss Kalk in den Chitinpanzer eingelagert werden. Laborexperimente haben gezeigt, dass es schon bei mäßiger Erhöhung von Kohlendioxid zu Problemen bei der Larvalentwicklung kommt. Sinkt der PH-Wert weiter, sind die Planktonkrebse irgendwann nicht mehr lebensfähig und die Nahrungskette bricht zusammen.

Salpen statt Krill

Noch ist es, zum Glück, nicht so weit – allerdings haben Langzeitstudien der letzten 30 Jahre gezeigt, dass der Bestand des Antarktischen Krills bereits erheblich zurückgegangen ist. Hauptursache ist vermutlich die Abnahme der winterlichen Meereisbedeckung. Denn im Gegensatz zu den erwachsenen Krill-Krebschen überstehen seine Larven keine längeren Hungerzeiten. Sie sind auf die Eisalgen an der Unterseite von Packeis angewiesen.

Wo ein Verlierer, da auch ein Gewinner: Vom massiven Eisrückgang im Südpolarmeer profitiert eine fingerlange Salpenart, die eisfreie Regionen bevorzugt und sich nun rund um die Antarktis stark vermehrt. Die ebenfalls Plankton filtrierenden Manteltiere stehen somit einerseits in direkter Nahrungskonkurrenz zum Krill und dezimieren andererseits als Fressfeinde auch den Bestand der Krill-Larven. Welche Auswirkungen ein weiterer Einbruch der Krill-Population auf die Nahrungskette hat, ist derzeit noch nicht vorhersehbar. Fakt ist jedoch, dass die durchsichtigen Salpen nur von wenigen Nahrungsspezialisten gefressen werden und sie die wesentlich nährstoffreicheren Krill-Krebschen keinesfalls unmittelbar ersetzen können.

Gletscherschmelze wirbelt Staub auf​

Um wissenschaftlich fundierte Beweise zu finden, ob die derzeitige Erderwärmungsphase ein außergewöhnliches, menschengemachtes Ereignis ist oder doch nur ein regelmäßig wiederkehrendes natürliches Ereignis, wurden kürzlich Sedimentbohrkerne aus Meeresbuchten des Antarktischen Kontinents entnommen. Jede Warmphase verursacht vor den Küsten Schmelzwasserströme, die jede Menge aufgewirbelte Sedimente aus den Buchten hinaustragen und in tieferen Regionen vor der Küste ablagern. Anhand der Bohrkerne lassen sich die Klimaveränderungen zumindest der letzten Jahrtausende wie in einem offenen Buch ablesen. Demnach verläuft die Erwärmungsphase seit etwa 100 Jahren außergewöhnlich anders beziehungsweise schneller, als bei ähnlichen Klimaphasen zuvor.

Unmittelbare und massive Auswirkungen der sedimentreichen Schmelzwasserströme reichen von einer verminderten Produktivität des Phytoplanktons durch weniger Licht und mehr Süßwasser bis zu einer Verschlickung am Meeresboden. Das führt zum Absterben vieler Bodenlebewesen und einer Artenverarmung zugunsten weniger schlicktoleranter Tiere, wie einigen Arten von Muscheln und Seefedern. Zudem konnte in den untersuchten Buchten seit mehreren Jahren so gut wie kein Krill mehr gefunden werden.

Klimakammern der Erde​

Arktis und Antarktis sind durch die geringe Sonneneinstrahlung als Kältepole der Erde ganz maßgeblich an unserem Klima beteiligt. Die großen Temperaturunterschiede zwischen den kalten Polen und dem warmen Äquator unserer Weltkugel sind maßgeblich an der Entstehung der globalen Meeresströmungen sowie der erdumspannenden Luftzirkulationen/Winde beteiligt. Im Zusammenspiel mit Rotation, Neigung und Magnetfeld der Erde sind diese verantwortlich für Klima- und Wettergeschehen auf unserem Planeten. Verändern sich einzelne Parameter, hat das über kurz oder lang massive Auswirkungen auf das gesamte System. Unsere derzeitige, erdgeschichtlich gesehen  ungewöhnlich schnell zunehmende Erderwärmung ist so eine Veränderung. Ob und mit welchen Maßnahmen sie sich vom Menschen tatsächlich aufhalten oder zumindest bremsen lassen könnte, ist äußerst ungewiss.