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Nord- und Ostsee

Blanker Hans und Mare Balticum

Kegelrobben an der nordenglischen Küste. Foto: Johnny Rebel/pexel

Die deutschen Meere sind für viele Menschen ein Bekenntnis. Urlauberherzen schlagen entweder für die Nordsee oder die Ostsee – selten für beides. Tatsächlich hat jedes Meer seinen ganz eigenen Reiz. Dabei sind die charakteristischen Ausprägungen vor allem auf zwei vollkommen unterschiedliche Entstehungsgeschichten zurückzuführen.

Text: Elmar Klemm

Nordsee – Randmeer des Kontinentalschelfs

Die Nordsee ist ein typisches Schelfmeer. Als Randmeer des Atlantik wird sie durch Großbritannien, das europäische Festland sowie Dänemark und Norwegen begrenzt. Zwischen Norwegen und Schottland und über den Ärmelkanal ist sie mit dem Ozean verbunden. Entstanden ist die Nordsee vor mehr als zwei Millionen Jahren. Allerdings liegen große Teile des heutigen Nordseebeckens während der Eiszeit noch trocken. Ihre Ausdehnung, wie wir sie heute kennen, entwickelt sich fortlaufend seit etwa 8.000 Jahren. Dazu trägt nicht zuletzt der „Blanke Hans“ bei. Die schweren Sturmfluten haben schon ganze Inseln verschlungen. Die Tiefe nimmt von Süden nach Norden zu. Während das Meer an der Doggerbank nur etwa 20 Meter tief ist, misst es in der Norwegischen Rinne mehr als 700 Meter.

Nordsee – Ebbe und Flut
Katharina Bill / unsplash.com

Ebbe und Flut​

Charakteristisch sind die ausgedehnten Wattengebiete im Süden und Süosten. Alle zwölf Stunden verändert die Tide den Wasserspiegel um bis zu sechs Meter. So steht das strömungsreiche Gewässer nur alle sechs Stunden für rund 60 Minuten still. Ein wichtiges Zeitfenster für Offshore-Arbeiter und Forschungstaucher. Denn die Nordsee ist vor allem auch ein Wirtschaftsraum. Schifffahrt, Fischerei, Erdöl-Förderung und Offshore-Windparks prägen heute das Bild. Diese Nutzung stellt das Ökosystem vor große Herausforderungen. Der ohnehin karge Lebensraum ist geprägt von großflächigem Sandgrund. Anders als in der Ostsee hat es hier keine eiszeitlichen Geröll-Geschiebe gegeben. Auch der Salzgehalt schwankt. Am höchsten ist er in der nördlichen Nordsee durch die direkte Verbindung zum Atlantik. Trotzdem führt die permanente Strömung der Gezeiten zu einem reichen Sauer- und Nährstofftransport. Mächtige Kelpwälder sind ebenso bezeichnend wie die Kaltwasser-Koralle Totemannshand. In diesen Biotopen tummeln sich die als „Knieper“ bekannten Taschenkrebse, Seeigel, Hummer und Dornhaie. Vor Norwegen trifft man zudem auf Seeteufel und Seewölfe. In der Nordsee können außerdem sämtliche atlantischen Meeressäuger angetroffen werden. Allen voran die putzigen Seehunde auf den Sandbänken vor den Nord- und Ostfriesischen Inseln sowie vor Helgoland.

Ostsee – Brackwasser der Eiszeit

Ganz anders sieht es in der Ostsee aus. Das vergleichsweise junge Meer ist nach der letzten großen Eiszeit entstanden. Vor etwa 12.000 Jahren hat sich das Schmelzwasser der skandinavischen Gletscher zu einem „Baltischen Eissee“ gesammelt. Der Name „Mare Balticum“ verweist bis heute auf diesen Ursprung. Während einer anhaltenden Wärmeperiode ist der Wasserspiegel gestiegen. Skandinavien und Großbritannien werden vom Festland getrennt. Die fortlaufenden Schmelz- und Landhebeprozesse führen zu einer stetigen Vermischung von Salz- und süßem Schmelzwasser. Heute bildet die gerade einmal 7.000 Jahre alte Ostsee eines der größten Brackwassermeere der Erde. Mit einer Durchschnittstiefe von 52 Metern ist sie relativ flach. Ihre tiefste Stelle liegt vor Gotland mit 459 Metern.

Ostsee
Sven Gaudis / unsplash.com

Scholle und Dorsch​

Man kann sich vorstellen, dass diese kurze Zeit für die Entwicklung von Flora und Fauna eine große Herausforderung darstellt. Insbesondere der sich ständig ändernde Salzgehalt fordert die Evolution. Während die Ozeane einen durchschnittlichen Salzgehalt von 35 Promille aufweisen, schwankt er in der Ostsee zwischen 20 und 3 Promille. Gen Osten wird die Distanz zur Salzquelle Nordsee immer größer. Entsprechend nimmt der Salzgehalt ab. Tatsächlich braucht die Ostsee für einen vollständigen Wasseraustausch bis zu 35 Jahre. Alle paar Jahrzehnte drücken jedoch starke Stürme aus Nordwest frisches Nordseewasser in die Ostsee. Vor wenigen Jahren war so ein Moment – und mit dem Ozeanwasser kam die Fauna. Plötzlich sind im dänischen kleinen Belt die Vorkommen von Hummern gestiegen, in der Eckernförder Bucht kann man Kalmare und sogar Delfine beobachten.

Der Salzgehalt hat also große Auswirkungen auf die Ausprägung von Flora und Fauna. Zur kurzen Evolutionszeit kommt hinzu, dass der sauerstoffarme Tiefenbereich wenig Lebensraum bietet. So haben sich vor allem eingewanderte Tiere aus den salzhaltigeren Regionen der Nordsee an das Brackwasser angepasst. Seit einigen Jahrzehnten werden zudem neue Arten in den Wassertanks großer Frachtschiffe eingeschleppt. Wie sie sich in den Biorhythmus einfügen, bleibt abzuwarten.

Historischer Spatenstich​

1887 hat Kaiser Wilhelm I. den Spaten zu einem ehrgeizigen Bauprojekt erhoben. Bis heute verbindet der Nord-Ostsee-Kanal die beiden deutschen Meere von der Kieler Förde bis nach Brunsbüttel. Der 100 km lange Kanal zählt heute mit durchschnittlich 30.000 Schiffspassagen pro Jahr zu den wichtigsten Wasserstraßen der Welt.