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Seegraswiesen

Die bedrohten Vorgärten unserer Küsten

Fotos: Wolfgang Pölzer

Gemeinsam mit Regenwäldern und Korallenriffen gehören Seegraswiesen zu den am stärksten bedrohten Ökosystemen unserer Erde. Dabei leisten sie Herausragendes für uns alle: Sie sind Sauerstoffproduzent, CO2-Speicher, Bollwerk gegen Küstenerosion und Kinderstube für (Nutz-)Fische. Nichts desto trotz schrumpfen die Bestände besorgniserregend. 

Text: Wolfgang Pölzer

Wiese ist nicht gleich Wiese

Seegras ist lediglich eine Sammelbezeichnung für gut 40 verschiedene Arten aus drei Familien, die mit Ausnahme der Polarregionen nahezu weltweit vorkommen. Alle zusammen brauchen jedoch Licht zum Leben. Genau wie unsere Blumen, Bäume und Wiesen betreiben sie zur Energiegewinnung Photosynthese. Vor Urzeiten haben sie den Weg zurück ins Meer genommen, um die flachen, sonnendurchfluteten Küstenbereiche zu besiedeln. Dabei können sie je nach Art und Transparenz des Wassers maximal bis in etwa 50 Meter Tiefe vordringen.

Über tausend Jahre alt​

Seegraswiesen wachsen verständlicherweise nicht am blanken Fels von Steilküsten, sondern an flachen, sandigen Küsten – also vorwiegend vor Stränden und in Buchten. Hier leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Befestigung der Sand- und Sedimentflächen und verhindern somit sehr wirkungsvoll Küstenerosion. Seegräser wachsen nicht einzeln Halm für Halm, sondern sind unter dem Meeresgrund über schlauchartige Rhizome miteinander verbunden. So formen sie ein dichtes Netzwerk und stabilisieren den Sandgrund äußerst effektiv. Obwohl ein Gras-Schössling nur etwa 50 Jahre lebt, bedecken Seegraswiesen nicht nur riesige Flächen, sie können auch weit über eintausend Jahre alt werden – fast so alt wie ein Olivenbaum!

Von der Wüste zur Oase

Sand- oder Schlickflächen im Meer erscheinen zwar auf den ersten Blick wie eine leblose Wüste, sie beherbergen jedoch eine Vielzahl von Lebewesen. Allerdings sind das allesamt Spezialisten, die sich ständig oder zumindest bei Gefahr im Boden vergraben, denn andere Versteckmöglichkeiten sind auf einer Ebene nicht vorhanden. Überzieht jedoch eine Seegraswiese eine ehemals leere Sandebene, blüht sie zur dreidimensionalen Oase des Lebens auf. Die Seegraswiese erschafft quasi als Primärproduzent ein eigenes Ökosystem mit einer Vielzahl an Wohn-, Versteck- und Nahrungsplätzen. Sie bietet Aufwuchsorganismen wie Kalkrotalgen, Schwämmen, Muscheln, Anemonen und Moostierchen-Kolonien an Sprossachsen und Blättern, ist Lebensraum für unzählige Garnelen- und Krebsarten, Schnecken, Fische wie Seepferdchen und Lippfische und ist Nahrungsquelle für eine ganze Reihe von winzigen Asseln, vegetarisch lebenden Brassen aber auch für Schildkröten und Seekühe. Vor allem aber dienen Seegrasbestände zahllosen Tierarten als Brutplatz und Kinderstube. Darunter auch wirtschaftlich so bedeutsamen Arten wie Hering, Scholle, Zackenbarsch und Dorade. Neueste wissenschaftliche Untersuchungen an der weltgrößten bekannten Seegraswiese auf einem flachen Plateau mitten im Indischen Ozean haben gezeigt, dass selbst große Räuber wie Tigerhai und Pottwal regelmäßig im Seegras angetroffen werden. Den hohen Stellenwert der Seegraswiesen in der maritimen Nahrungskette hat die Wissenschaft erst nach und nach ermessen können.

Klimaretter ersten Ranges

So wie alle Pflanzen und vor allem Regenwälder quasi als Abfallprodukt der Photosynthese große Mengen an Sauerstoff produzieren und damit unaufhörlich unsere Atemluft reinigen, passiert in den Seegraswiesen genau das gleiche. Während ein Teil ihres abgegebenen Sauerstoffs sich im Wasser löst und das überlebenswichtige Gas für alle kiementragenden Meereslebewesen zu Verfügung stellt, entweicht der Rest in die Atmosphäre und kommt auch uns zugute.

Natürlich gibt es auch noch andere Sauerstoffproduzenten wie etwa pflanzliches Plankton, das in Summe für rund 50 Prozent des weltweit erzeugten Sauerstoffs verantwortlich ist. Jedoch mit dem Rückgang von (Regen-)Wäldern, pflanzlichem Bewuchs generell, globaler Meeresverschmutzung und eben auch dem Schwund von Seegraswiesen könnte das einmal zu massiven Auswirkungen auf die Zusammensetzung unserer Atmosphäre führen.

Ein weiterer Puzzlestein in dem höchst komplexen Thema ist das derzeit in aller Munde befindliche Klima-Gas CO2 (Kohlendioxid). Und auch hier nehmen Seegraswiesen eine wichtige Rolle ein. Sie gehören zu den marinen Lebensräumen mit der höchsten Primärproduktion und entziehen durch ihr ständiges Wachstum – also der Produktion von Biomasse – Meerwasser und Atmosphäre Unmengen von CO2. Und zwar Berechnungen zufolge mindestens 10 mal so viel wie die gleiche Fläche von Wald! Noch dazu wird das gebundene CO2 in den weitverzweigten Rhizomen im Meeresboden dauerhaft gespeichert und verbleibt meist auch dann im Sediment wenn ein Teil der Seegraswurzeln abstirbt.

Weitere Berechnungen gehen davon aus, dass Seegraswiesen bis zu 15 Prozent des weltweit von den Ozeanen aufgenommenen CO2 speichern. – Bei der Erhaltung von Seegrasbeständen geht es also nicht bloß um das Wohl von ein paar Fischen und sonstigem Meeresgetier, sondern um unser aller Überleben!

Seeegraswiesen
Seegras speichert große Mengen von CO2. Foto: Benjamin Jones/Unsplash
Der Schriftbarsch hält sich bevorzugt im Seegras auf.
Seegraswiesen mit Seenadel
Die Seenadel ist im Seegras gut getarnt.
Seepferdchen
Seepferdchen sind in Seegraswiesen zuhause.
Skorpionfisch
Fische finden im Seegras schutz vor Freßfeinden.