Tiefsee

Rätselhafte Unterwasserwelt

Illustration: R. Jahnke, Fotos: NOAA

Als Tiefsee bezeichnet man die lichtlosen Bereiche der Meere, die unterhalb einer Tiefe von 1000 Metern liegen. Bis ins 19. Jahrhundert hielt sich der Glaube, in der Tiefe der Meere gäbe es nur Wasser. Ein Irrtum! Die Tiefsee ist der größte Lebensraum der Welt, den zudem seltsame Kreaturen bevölkern.

Von Jasmin Hickmann

Tiefsee Hydromedusa
Denken Sie bei diesem Bild auch an eine Szene aus einem Science-Fiction-Film? Einem UFO gleich treibt diese Hydromeduse in einer Tiefe von 3900 Metern durch die Tiefsee.

Der Lebensraum

Kalt, dunkel, unter enormen Druck und vor allem eins: leer. So sind unsere Vorstellungen vom größten Lebensraum auf der Erde. Die Tiefsee stellt mit fast 60 Prozent Flächenanteil in der Tat einen gewaltigen, fast unerforschten Lebensraum. Aber sie macht 99 Prozent des Lebensraums auf der Erde aus – wenn man das Volumen betrachtet. Riesenkraken, seltsame Haie und unterseeische Fabelwesen versetzen die Menschen lange Zeit in Angst und Schrecken. Heute wissen wir, dass die Tiefsee nicht nur seit Jahrmillionen bewohnt ist, sie bietet auch eine Fülle an biologischem Reichtum. Eigentlich ist es für das irdische Leben eher der Normalfall, unter den extremen Bedingungen der Tiefsee zu leben – unser Leben an Land und unter grellem Sonnenlicht gilt in der Evolution eher als Ausnahme!

Die Zahlen über die Größe beeindrucken: Zwei Drittel der Erde sind von Meeren bedeckt, davon liegen 62 Prozent unterhalb von 1000 Metern Wassertiefe (was dann einer Fläche von 318 Millionen Quadratkilometern entspräche). Mit den unendlich weiten abyssalen Becken, den längsten Bergrücken der entlang der ozeanischen Spreizungszonen, etwa 100 000 untermeerischen Seebergen und den größten Tiefen bis 11 034 Meter (die Witjas-Tiefe im Marianengraben) ist die Tiefsee zudem ein vielfältiges Areal.

Entstanden nach dem Driften der Kontinente erlebte jedoch auch dieser Lebensraum in der geologischen Geschichte vielfältige Änderungen. Warm- und Kaltzeiten lösten sich ab, ebenso wie Sauerstoffmangelzonen oder Zeiten der Nahrungsknappheit nach Meteoritenkatastrophen.
Als Kohlendioxid-Speicher auch für das weitere Klima auf unserer Erde eine immens wichtige Roll

Unergründliche Tiefen

Am 23. Januar 1960 erreichten Jacques Piccard und Don Walsh mit der „Trieste“ das Challenger-Tief (10 910 Meter) im Marianengraben. Ihr Tauchrekord ist bis heute ungebrochen. Wenn man den höchsten Berg der Erde, den Mount Everest, dort versenken würde, bliebe sein Gipfel trotzdem noch 2000 Meter unter der Wasseroberfläche. Die Durchschnittstiefe der Weltmeere liegt bei über 4000 Meter Tiefe.

Mit zunehmender Entfernung vom Sonnenlicht schwindet auch die Temperatur. Ab 2000 Meter setzen sich die von den eisigen Polen stammenden Wassermassen durch: Die Temperatur in der Tiefsee sinkt auf ungemütliche -1 bis +2 Grad Celsius. In einigen Regionen ist es jedoch auch in der Tiefsee warm: So herrschen 10 bis 13 Grad Celsius im westlichen Mittelmeer oder Roten Meer. Im Umfeld von heißen Hydrothermalquellen wird es allerdings wärmer. An einer Thermalquelle in drei Kilometer Tiefe maßen Wissenschaftler die höchste jemals gemessene Wassertemperatur: 407 Grad Celsius. Wer aber glaubt, hier könne kein Leben existieren, irrt. Garnelen, Muscheln und Würmer fühlen sich an dieser Extrem-Sauna erst richtig wohl.

Unter Druck

Je tiefer wir sinken, umso größer wird der Druck. Pro zehn Meter steigt er um 1,013 bar. In 1000 Metern Tiefe lasten demnach 101,3 bar auf jedem Quadratzentimeter Oberfläche. In den tiefen Gräben ist der Druck 400 bis 1100 Mal höher als an der Oberfläche. Für uns Menschen wäre dieser Druck tödlich. Die Tiere der Tiefsee tricksen diese Gefahr aus, indem sie große Mengen Wasser einlagern, das auch bei hohem Druck kaum komprimierbar ist, und auf gasgefüllte Hohlräume wie Schwimmblasen einfach verzichten.

Licht

Lichtstrahlen dringen bis in eine Tiefe von 200 Metern ein. Zuerst wird das langwellige rote Licht geschluckt. Es folgen orangenes, gelbes und grünes Licht. Zum Schluss ist nur noch das kurzwellige blaue Licht übrig, das immerhin noch bis in eine Tiefe von 1000 Metern reicht.

Tiefseekoralle
Wer glaubt, Korallen leben nur in lichtdurchfluteten Bereichen der Meere, irrt sich. Tiefseekorallen können in Tiefen von über 3000 Metern vorkommen. Hier bilden sie komplexe Riffstrukturen und geben über 4000 Tierarten eine Heimat.

Leben am Abgrund

Nahrungsmangel ist für die Tiefsee die Regel und eines der wesentlichen Charakteristika für ihre Biologie. Neben dem Druck, der niedrigen Temperatur und der Dunkelheit mussten sich in der Evolution die Organismen daran vielfältig anpassen. Da das Licht nur bis maximal 1000 Meter Tiefe mit wenigen Quanten vordringt, leben in der Tiefsee des Meeres keine Photosynthese betreibenden Algen und Pflanzen. Alles dort unten ist somit auf die Zufuhr aus der Sonnenzone abhängig. Nahrung fällt als leise rieselnder Schnee oder plötzlicher Schneesturm in die tieferen Schichten. Von diesem abgestorbenen Phytoplankton wird zudem vieles vor Erreichen des Bodens in den Wasserstockwerken des Pelagials (Freiwassers) verwertet. Man schätzt, dass nur ein Prozent der Primärproduktion unten ankommt.

Ob vom Riesenkalmar bis zum Einzeller: Die Tierwelt der Tiefsee hat sich vielfältig angepasst. 32 der 34 Tierstämme leben im Meer, und die Artenfülle der Formen ist unüberschaubar. Derzeit kennen wir knapp 180 000 marine Tierarten – doch gerade in der Tiefsee werden immer wieder neue bizarre Wesen entdeckt.

Der Erfindungsreichtum gegen die Leere, was Nahrung, Partner und Freunde angeht, fasziniert besonders. Da nur spärlich mal eine Mahlzeit herunterrieselt, ist es effektiver, größere Mäuler zu haben. Die meisten Fische wie Schlingerfische und Fangzahnfische zeigen ausgeklügelte Techniken, die einmal gefangene Beute maximal zu verwerten. Mit dehnbaren Mägen und ausrangierbaren Kiefern können dann riesige Brocken verspeist werden. Bei anderen Spezialisten hat man im Magen immer nur die Schwanzspitzen anderer Fische gefunden.

Bakterien im Sand klammern sich an Einzeller, um Nahrungsreste abzustauben, kleine Krebse lassen sich von Seegurken aufnehmen, um geschützt im Magen dieser Tiere zu überleben, und Krebse besiedeln die gestielten Seelilien (meist paarweise!), um in der Strömung zu wiegen und an dem Wirtstier zu knabbern. Es wird mitgereist, sich eingenistet, schmarotzt und getäuscht, was das Zeug hält.

Aus solch anfänglicher Ausnutzung wird teilweise eine auf gegenseitigen Nutzen basierende Symbiose. In keinem anderen Lebensraum gibt es so viele solcher Zweckgemeinschaften wie in der Tiefsee. Im Extremfall kann keines der Wirt- und Gasttiere einzeln überleben, was am deutlichsten bei den Tieren an den Hydrothermalquellen zu beobachten ist.

cTiefsee Schwarzer Raucher
Die Tiefsee-Seegurke Enypniastes eximia wurde bei der berühmten Challenger-Expedition 1874 entdeckt. Wie viele andere Bewohner der Tiefsee auch, kann sie durch Biolumineszenz leuchten.

Anpassungen der Tiefseebewohner

1. Gut bewaffnet
Würde Rotkäppchen den Fangzahn fragen, warum hast du so große Zähne, würde er antworten: Damit mir keine Beute entkommt! Dort, wo Nahrung knapp ist, darf man kein Risiko eingehen. Um sein Maul schließen zu können, verschwinden die Zähne in speziellen Taschen.

2. Tarierung
Um nicht abzusinken, haben viele Tiere der oberen Wasserschichten gasgefüllte Körper wie Schwimmblasen ausgebildet. Das Problem in der Tiefsee: Gas dehnt sich bei abnehmendem Druck aus. Deshalb haben insbesondere die Tiere, die vertikale Wanderungen durchführen, ihre Gaskammern statt mit Gas mit Ölen oder Fetten aufgefüllt.

3. Sehsinn
Wer in völliger Dunkelheit die Biolumineszenz bei der Partnerwahl oder zur Beutesuche wahrnehmen muss, setzt auf gut entwickelte Augen. Alle anderen können auf diesen Sinn verzichten.

4. Dehnbare Mägen
Schwarze Schlinger können dank eines dehnbaren Magens beutefische verschlingen, die zum Teil sogar zehn Mal so groß sind wie sie selbst! Der Stoffwechsel in den kalten Tiefen der Meere läuft langsamer ab, deshalb müssen viele Tiefseefische nur einmal im Jahr Beute machen!

5. Rot ist Trend
Die Trendfarbe bei Tiefseebewohnern ist Rot. Das liegt daran, dass diese am wenigsten reflektiert und schon in den obersten Schichten absorbiert wird. Eine andere, weit verbreitete Tarnmöglichkeit ist ein durchsichtiger Körper, der eventuellen Lichtschein einfach durchlässt.

6. Bordeigene Lampen
Bei der Kommunikation sind Symbiosen notwendig. Um sich in dem dunklen Reich zu finden, nutzen die Tiere neben akustischen Signalen die Hilfe von lichtproduzierenden Bakterien, die die Fähigkeit zur Biolumineszenz haben. Während an Land nur ein paar Tierklassen die Fähigkeit haben, eigenes Licht zu produzieren, ist dieses Phänomen im Meer bei 16 Tierstämmen verbreitet. 90 Prozent aller Tiefseeorgansimen betreiben Biolumineszenz. Das Licht entsteht durch die Umwandlung von Photoproteinen wie Luciferin durch das Enzym Luciferase. Der gesamte Wasserkörper ist erfüllt mit blitzenden Leuchtwesen, erstaunlicherweise bis hinab in die tiefsten Zonen. Die leuchtenden Bakterien werden dazu in speziellen Zellen gezüchtet und können chemisch an- und ausgestellt werden. Sie dienen zur Nahrungssuche, indem Leuchtangeln vor dem Maul die Beute anlocken wie beim Viperfisch. Andere Fische haben Taschenlampen, die sie nach der Beutesuche in Hautfalten der backen verstecken.
Die Fülle der „bordeigenen“ Lampen überraschte schon William Beebe, einen Pionier der Tiefseeforschung: „Das Meer irrlichterte weithin von den Bewohnern der Tiefsee, von denen jeder ein eigenartig phosphoreszierendes Licht ausstrahlte, das vielleicht ebenso zur Beleuchtung als auch zum Anlocken von Beute dienen sollte.“
Das Leuchtfeuer wird auch zur Verständigung oder zur Camouflage genutzt. Krebse lassen so Blitzkugeln los, um die Feinde zu blenden, und Tintenfische versprühen leuchtende Tintenwolken vor der Flucht. Schlimmer noch: Wer den Borstenwurm Swima bombiviridis – den grünen Schwimmbomber – angreift, läuft Gefahr, von dessen explodierenden Leuchtgeschossen getroffen zu werden. Nun, sichtbar für alle anderen, wird so aus dem Räuber schnell eine Beute für die anderen gefräßigen Monster der Tiefe!

Tiefsee-Seeteufel
Dieser Tiefsee-Seeteufel kann bis zu einem Meter Länge erreichen. Er lauert seinen Opfern am Meeresboden auf und lockt kleinere Fische mit seiner „Angel“ direkt vor dein großes Maul.

Blind Date mit Folgen

Wie es die Tiere in diesen von Blitzen erhellten, unendlichen Weiten schaffen, sich ihre Partner zu suchen, gleicht einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Umso folgerichtiger ist es, einen einmal gefunden Partner festzuhalten! Das seltsamste (und außergewöhnlichste!) Beispiel findet sich da bei den Anglerfischen der Tiefsee. Denn hier beißen sich die kleineren Männchen an den größeren Weibchen fest. Danach verschmelzen sie mit dem Körper des Weibchens – teilen sich am Schluss sogar einen gemeinsamen Blutkreislauf mit ihm!

Zwergmännchen, Umwandlungen des Geschlechts im Lebenszyklus, Brutfürsorge, lebensgebärend (wie viele Haie): Die Palette der Anpassungen für die gesicherte Vermehrung ist groß. Nicht nur das Finden der Partner oder die Fürsorge des Nachwuches wird gelöst, auch die richtige Nahrung für die Kleinen muss gewährleistet sein. Zum Teil sind es die Jahreszeiten in der Tiefsee, wenn zum Beispiel im Frühsommer das Frühjahrsplankton als quasi „grüner Schnee“ auf den Tiefseeboden fällt. Die Tierwelt scheint regelrecht darauf zu warten, und nach dem reich gedeckten Tisch vermehren sich fast alle Organsimen. Dass es Jahreszeiten auch in der Tiefsee gibt, wurde erst vor 20 Jahren durch Fotozeitreihen entdeckt und sorgte wieder einmal für Schlagzeilen.

Alternativ sind es die Mondphasen, die die Oberflächen anfruchten und durch die wechselnden Meeresströmungen (zum Teil wirken dort unten auch Gezeiten) das Signal geben. So durchwandern einige Tiere während verschiedener Lebensabschnitte die unterschiedlichen Stockwerke und verändern dabei jeweils ihre Erscheinung. So rätselten die Meeresforscher lange über eine als Leptocephalus bekannte filigrane Fischart, bis schließlich diese „Weidenblattlarve“ als nachwuchs des europäischen Aals identifiziert wurde. Doch warum diese Larven so häufig in der Tiefsee der Sargasso-See im tropischen Atlantik vorkamen, konnten erst spätere Untersuchungen über die weiten Wanderungen dieser Tiere zeigen.

Riesenkalmare


Auch wenn Riesenkalmare zehn Meter lang werden, finden sie einen Partner wohl nicht allzu leicht. Deshalb implantiert das Männchen während der Paarung Spermienpakete unter die Haut des Weibchens. So wird sie auch in seiner Abwesenheit mit Spermien versorgt!

Falscher Marderhai
Dieser Falsche Marderhai war circa drei Meter lang und wurde bei einer Tiefsee-Expedition auf etwa 1200 Metern entdeckt.

Schätze der Evolution

Die Tiefsee lockt Abenteurer und Forscher, auch weil an wohl keinem anderen Ort auf der Welt so viele neue Tierarten entdeckt werden. Man muss ich mal vorstellen: In einer einzigen Planktonprobe aus fünf Kilometern Tiefe fanden Forscher mehr als 500 Tierarten, darunter waren zwölf unbekannt. Neben Kleinstlebewesen wie Plankton oder Bakterien gibt es unzählige, die nur darauf warten gefunden zu werden. Auch größere Kaliber wie der urzeitliche Quastenflosser, der als ausgestorben galt, wurde erst 1938 wiederentdeckt.

Anhängliche Männchen

 
Über die Biologie der mehr als 100 Tiefsee-Anglerfisch-Arten wissen wir recht wenig. Anders als ihre Verwandten in den Riffen, sind diese meist dunkel gefärbt, und je tiefer sie vorkommen, desto weniger Knochen bilden sie aus. Kennzeichnend ist natürlich die Angel, ein verlängerter Rückendorn, der mit Leuchtködern oder mehreren Haken besetzt ist. Da diese Fische als Lauerräuber sich meist wenig bewegen, ist die Partnersuche ein Problem. Die Lösung besteht darin, mehr Männchen auszubilden als Weibchen. Zudem beißen sich die Männchen als „Dauer“-Samenspender an den viel größeren Weibchen fest. Das Zwergmännchen reduziert alle Organe und lässt sich über den Blutkreislauf der Herzensdame ernähren. Über Hormone steuert diese dann die Ausbildung der Samen.

Brutfürsorge


Die Fische der Flachwasserzone bilden teils Millionen Eier, um für ausreichend Nachwuchs zu sorgen. Anders ist es in der Tiefsee: Hier wird wegen der geringen Nahrungsmenge auf wenige Nachkommen und auf eine späte Geschlechtsreife gesetzt. So werden Dornhaie erst mit 20 Jahren geschlechtsreif und tragen die Embryonen dann bis zu zwei Jahre bei sich (dies ist eine längere Tragzeit als bei Elefanten!), bis diese dann lebend geboren werden. Der Kaiserbarsch (Orange Roughy) wird vermutlich sogar bis zu 130 Jahre alt und erst mit 30 Jahren reif für Nachkommen. Andere Tiefseearten legen Eikapseln am Boden ab oder tragen diese gleich mit sich, wie viele Krebse im Plankton.

Tiefsee Schwarzer Raucher
Aus den sogenannten Schwarzen Rauchern schießt über 300 Grad Celsius heißes und mit Sulfiden angereichertes Wasser aus. Manche Schlote können bis zu 60 Meter hoch werden.

Vorhof zur Hölle 

Hydrothermale Quellen, Stellen, bei denen an aktiven Zonen heißes Meerwasser aus der Erdkruste in die Tiefsee fließt, gehören sicherlich zu den spektakulärsten Funden der Meereserkundung in den letzten Jahrzehnten. Als 1977 Geologen zum ersten Mal diese Strukturen per U-Boot besuchten, fanden sie eine vom Sonnenlicht völlig unabhängige und unbekannte Tierfauna. Heute wissen wir, dass die Chemosynthese der Bakterien, die Umwandlung von energiereichen Schwefelverbindungen in Biomasse, die Grundlage für diesen Reichtum bildet. Spinnenkrabben ohne Augen, Bartwürmer, Venus- und Miesmuscheln und Seesterne bewohnen die bis zu 60 Meter hohen Schlote. Die hier lebenden Bartwürmer besitzen kein Verdauungssystem, sondern erhalten ihre Nährstoffe von den Bakterien, mit denen sie in Symbiose leben.

Wie kommen all diese Tiere an die heißen Hydrothermalquellen? Erst 1977 wurden diese Quellen in der Tiefsee von Geologen vor Mittelamerika im Pazifik entdeckt. Mittlerweile wurden weitere 100 heiße Plätze in den Meeren erforscht, meist an vulkanisch aktiven Zonen. Dabei wird kaltes Meerwasser bei seinem Durchfluss innerhalb des Erdmantels stark angesäuert, wodurch es sehr viele Mineralien und Schwefel aufnimmt sowie stark erhitzt wird. Gelangt nun dieses superheiße Wasser in die kalte Tiefsee, werden die Schwefelmineralien als schwarzer Rauch ausgefällt. Es bilden sich stockwerkgroße, sogenannte Schwarze Raucher. Ist die ausgestoßene Sedimentwolke allerdings reich an Anhydrit, Gips oder Siliziumoxid, bildet sich eine helle Sedimentwolke, und es handelt sich um Weiße Raucher.

Das Verblüffende war jedoch das reiche Leben, das sich an den Gesteinen vorfand. Meterlange Würmer, weiße Krebse und die dazugehörigen Räuber wie Fische und Oktopoden tummeln sich rund um die Schlote. Es ist ein eigenes Ökosystem, das fernab des Sonnenlichts existiert. Mittlerweile kennen wir muschel-, krebs- oder würmerdominierte Faunen rund um diese Quellen.

Heute wird an den europäischen Vent-Feldern wie „Lucky Strike“ (1700 Meter tief), „Menez Gwen“ (800 Meter) oder „Rainbow“ (2300 Meter) vielfältige Forschung betrieben. Allerdings zeigen auch jüngste Erkundungen, dass die Hydrothermalschlote nicht so häufig vorkommen wie gedacht und meist nur 20 Jahre lang aktiv sind. Daher sollten diese besonderen Habitate und ihre Bewohner dringend unter Schutz gestellt werden!Vorho 

So funktioniert ein Schwarzer Raucher

Kaltes Meerwasser sickert durch Spalten und Risse im Boden und wird durch die Nähe zur Magmakammer aufgeheizt. Dabei reichern sich Minderlaien an. Beim Wiederaufstieg durch den Schlot fallen nach dem Kontakt mit dem kalten Meerwasser metallhaltige Partikel aus. Diese färben den rauch schwarz und bilden die meterhohen Kaminschlote.

Urzeitliche Schwammriffe

1986 wurden vor Vancouver „lebende Fossilien“ entdeckt: Kieselschwammriffe. Diese Tiere bildeten vor 155 Millionen Jahren ein riesiges Riff von 7000 Kilometern Länge, deren Reste noch heute in der schwäbischen und fränkischen Alb zu sehen sind. Solche Strukturen galten mit den Dinosauriern als ausgestorben. Bis die Forscher in 165 bis 240 Metern Tiefe Glasschwammriffe von der Größe Manhattans mit teils 19 Meter hohen Strukturen fanden. Auch vor Ostgrönland, Island, den Faröer und in Nord-Norwegen wachsen solche Schwammriffe, die teils Hunderte von Jahren als werden.

Tiefsee Dumbo Oktopus
Der Dumbo-Oktopus wurde schon in Tiefen von über 7000 Metern gefunden. Bislang ist noch nicht viel über diese Tiefseekraken bekannt.

Blühende Berge

Seamounts (Seeberge) sind untermeerische Vulkane und Bergkuppen, die sich aus etwa 1000 bis 4000 Meter Tiefe erheben, aber den Meeresspiegel nicht erreichen. Diese Inseln im Ozean zeigen an ihren steilen Hängen eine reiche Fauna aus Korallen und Weichtieren. Dadurch, dass die Meeresströmungen abgelenkt werden, bilden sich Auftriebsphänomene, und Planktonwolken locken Fischschwärme an. An den Seamounts finden sich oft endemische Arten.

Tiefseetiere erobern die Pole

Die Tiere der Tiefsee sind an kalte Temperaturen angepasst. In den polaren Regionen dringen daher an den Kontinentalrändern einige Tiefseetiere bis in flache Zonen vor, und polare Flachwasserarten wandern in die Tiefsee. Durch die Nährstoffzufuhr au den kalbenden Gletschern bilden sich artenreiche Zonen mit Manteltieren, Schlangensternen und anderen Bodentieren. Die „Volkszählung im Meer“ hat in der Polarregion viele neue Arten entdeckt, darunter auch handtellergroße Asselkrebse.

Die weißen Riffe

Eine wissenschaftliche Sensation waren die Funde von Kaltwasserkorallen vor der westafrikanischen Küste von Mauretanien. Solche Kaltwasserkorallen kannten die Fischer Nordeuropas schon lange, und die europäische Art Lophelia pertusa fand schon 1768 Eingang in die taxonomischen Bücher.

Und doch dauerte es bis in die 90er-Jahre, bis Meeresforscher Stück für Stück Einzelheiten über die Lebensweise und Verbreitung dieser Art herausfanden.

Vor Norwegen entdeckte man in 300 bis 400 Metern Tiefe das insgesamt 40 Kilometer lange „Røst-Riff“, das sich seit der letzten Eiszeit dort aufbaut. Überall, wo nährstoffeiche Wasserströmungen auf den Kontinentalhang treffen, kommen diese Korallen vor. Anders als ihre lichthungrigen Verwandten der Tropen sind die auf externe Nahrungszufuhr angewiesen. Der Fund vor Mauretanien lässt jedoch vermuten, dass solche Riffe von Spitzbergen bis nach Südafrika vorkommen. Damit bilden sie die längsten Riffe der Welt!

Mit mehr als 1000 Arten stellen die weißen Riffe einen biologischen Hotspot der Artenvielfalt in der Tiefsee dar. Gegenüber den Schlammbecken weisen aber auch andere, neu entdeckte Areale viele meist endemische Arten auf, seien es die Kuppen der Seamounts, die Canyons, Fjorde oder polaren Tiefseezonen.

Raubzug in der Tiefe

Es war auf der berühmten „Challenger-Expedition“ 1872 bis 1876, als den frühen Meeresforschern ein seltsamer Fund in die Maschen ging. Die schwarze, kartoffelgroße Knolle, die sich zu Hunderten verfing, stellte die Geologen vor ein Rätsel. Wie kamen die Steine fernab der Küste auf den schlammigen Meeresgrund? Wieso ummantelten erzhaltige Schichten Sandkörner oder prähistorische Haizähne? Wie alt waren die Brocken, oder stammten sie aus dem Bauch der Wale?

130 Jahre später macht sich die Menschheit auf, diese seltsamen Manganknollen dem Meer zu entreißen. Erkundungen brachten eine Reihe von Vorkommen im Pazifik und im Indischen Ozean mit. Vor allem im sogenannten Perubecken vor der Küste Südamerikas, in einem mehrere Tausend Kilometer langen „Manganknollengürtel“ von Hawaii bis Mexiko, den sogenannten „Clarion und Clipperton Frakturzonen“ (CCZ), gibt es die Knollen in Massen. Bis zu 60 Kilogramm pro Quadratmeter warten dort in 4000 bis 6000 Metern Tiefe auf ihre Förderung. Geschätzte zehn Milliarden Tonnen lagern auf dem Ozeangrund, so vermuten die Rohstoffexperten.

Die Kartoffeln auf dem Meeresboden sind reich an Kobalt, Mangan, Kupfer und Nickel und könnten der zukünftigen Ressourcensicherung dienen – so wie es schon Jules Verne prophezeit hatte. War in den 60er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Prospektion noch unrentabel, ist dies heute nicht mehr der Fall. Zumal auch die technischen Errungenschaften im Unterwasserbergbau rapide zugenommen haben. Sand, Kies, Phosphate, Diamanten und seltene Erden werden aus dem Meeresboden schon extrahiert. Der Rohstoffhunger der Menschheit entdeckt nun die Tiefsee.

BetterOceans - U-Boot-Tauchgang in der Tiefsee
Im Tiefseeboden befindet sich ein großer Vorrat an Erdöl und anderen Energieträgern.

Erdöl und Methan

In den Tiefseeböden schlummern riesige Energievorräte. Ein Drittel des Erdöls stammt mittlerweile aus den Offshore-Bohrungen im Meer, und die Tendenz zu immer größeren Tiefen ist steigend. Welche Gefahren diese Techniken bergen, zeigte sich in der gewaltigen Ölkatastrophe im Golf von Mexiko. Ein ganz neuer Zweig im Meeresbergbau ist die Methanhydratgewinnung. Es befindet sich in den Kontinentalabhängen. Gashydratlagerstätten könnten doppelt soviel Kohlenstoff enthalten wie in allen bekannten Lagerstätten fossiler Brennstoffe zusammen. Ihr Abbau birgt aber große Gefahren!

Leergefischte Tiefsee

Die Fischbestände der Tiefsee können sich im Fall der Überfischung kaum wieder erholen. Tiefseetiere vermehren sich wegen ihrer extremen Umweltbedingungen in absoluter Dunkelheit und unter hohem Wasserdruck nämlich nur langsam. Das beste Beispiel ist die traurige Geschichte der Granatbarsche, auch Orange Roughy genannt. Sie wurden intensiv befischt, bis plötzlich die Bestände zusammenbrachen. Was ist passiert? Die Lebensweise des Tiefseefischs war gänzlich unbekannt. Nun wissen wir: Er wird 150 Jahre alt und erst mit 30 Jahren geschlechtsreif!