follow us on
Seatrekking

Alle Fotos: Thilo Brunner

Seatrekking

Meer geht nicht

Die Idee der Wassersportart »Seatrekking« ist so simpel wie faszinierend: Es ist eine Art Wandern im Wasser mit minimalem Gepäck. Freitauchen, schnorcheln und, wenn’s sein muss, auch mal auf dem Meer übernachten. Fotograf Thilo Brunner kam dabei gehörig ins Schwimmen.

Text und Fotos: Thilo Brunner

 

Während ich auf meiner Isomatte den kroatischen Sternenhimmel über mir betrachte, weil ich nicht einschlafen kann, gluckert und plätschert irgendetwas unter mir zunehmend beunruhigender. Meine Matte schaukelt leicht. Ich weiß nicht, was sich da gerade unter mir bewegt. Und um mich herum kann ich in der Dunkelheit auch nicht weiter als zwei, drei Meter sehen. Es ist furchterregend, aber nicht ohne Reiz: So muss sich ein Astronaut fühlen, der schwerelos im All schwebt. Stellen Sie sich George Clooney in »Gravity« vor. Das bin ich in diesem Moment, nur nicht ganz so gut aussehend. Alles, was ich weiß, ist: Mir kann im Grunde nichts passieren. Alles, was ich fühle, ist: Hier draußen kann alles passieren. Ist das jetzt die grenzenlose Freiheit, nach der ich hier im Wasser suche oder einfach nur die dunkle Seite des Übermuts? Ich nehme an, das ist die Frage, die einen früher oder später immer umtreiben wird, wenn man sich freiwillig einer so ungewöhnlichen wie extremen Erfahrung in der Natur aussetzt. Aber jetzt muss ich erst einmal einschlafen.

Seatrekking

Das, was wir da gerade in Kroatien tun, klingt zunächst harmlos und ungefährlich. Jedenfalls wenn Bernhard Wache beseelt und begeistert darüber spricht, der nicht nur Seatrekking-Trails im Mittelmeerraum und in Asien anbietet, sondern diese Grenzvariante aus Sport und maritimer Selbsterfahrung selbst erfunden haben will: »Seatrekking bedeutet das Abenteuer des absolut freien Reisens entlang der Küste zu Wasser und zu Land«, sagt er, »die einmalige Verbindung zur Natur, die man erlebt, wenn man so intensiv für eine Zeit lang dort draußen lebt.« Mit dort draußen meint Wache das Meer, und er schwärmt von nichts anderem als bedingungsloser Stromerei auf dem Wasser, ohne Boot, ohne die Möglichkeit, am Abend auf einen Campingplatz oder in ein Hotel zurückkehren zu können. Immer draußen bleiben, tauchen, schwimmen, schnorcheln auf und im Wasser, über Tage, lange Strecken.

Aus diesem Grund bin ich vor einigen Tagen auf die Insel Cres in Kroatien gereist, wo Wache eine Art Basiscamp für sich, sein Team und Abenteurer wie mich aufgebaut hat. Von hier aus bietet er Seatrekking-Touren über mehrere Tage und Schnupperkurse für Beginner an. Cres liegt genau zwischen der istrischen Halbinsel und der Insel Krk im Osten, ein reizvolles Gebiet für Seatrekker, weil hier gleich mehrere Routen möglich sind. Die große Bucht vor Cres müssten wir auf einer Diagonalen durchqueren, nach Istrien sind es allein 16 Kilometer – unsere favorisierte Route. Inklusive eines leicht variablen Rückwegs reden wir über 29 Kilometer, die wir im Wasser schwimmen wollen. Ohne Landgang, mit Nächten auf dem Meer. Das ist nicht die einzige Schwierigkeit. Auf unserer favorisierten Route verkehren Fähren – für Schwimmer nicht ungefährlich. Zu leicht werden sie übersehen. Zudem befindet sich nördlich von uns eine hügelige Küstenlandschaft, die als unberechenbare Wetterküche der gesamten Region gilt: Wer die rauen Elemente gern spürt, ist hier genau richtig. Ein wundervolles Schauspiel, die Wolkenwalzen am Horizont über der Bucht aufsteigen zu sehen und zu beobachten, wie schon kurze Zeit später das flache Wasser zu sanften Surferwellen anwächst. Doch für unser Projekt sind unsichere Wetterverhältnisse ein Problem.

 

Die klimatischen Bedingungen müssen stimmen, bevor wir unser Abenteuer starten. Leider tun sie das nicht. Das schlechte Wetter scheint sich länger in unserer Nähe aufhalten zu wollen. So entscheiden wir uns, eine ruhigere Route einzuschlagen. Vor allem: eine kürzere. Sie ist nur 14 Kilometer lang und beschreibt eine Diagonale zwischen der Insel Krk, von der aus wir starten werden, und unserem Ziel in Cres. An der Herausforderung, die auf uns zukommt, ändert das wenig. Wir werden in die Ungewissheit hineinschwimmen, einen Tag und eine Nacht im Wasser leben, auf unsere Sinne und unsere Kräfte vertrauen. Und versuchen, in der Nacht auf dem Wasser zu biwakieren und dabei möglichst nicht zu ertrinken. Für die meisten Menschen dürfte allein die Vorstellung, mitten in der Nacht auf dem Meer zu treiben und dabei auch nur eine Minute Schlaf zu finden, abwegig sein, absurd, angsteinflößend. Es gehört ja schon tagsüber Mut dazu, sich den Gezeiten, dem Wind und den Wellen auszusetzen – und all dem sonst noch, was da unten in der Tiefe lauert. Hier draußen im großen Blau bleibt eben alles ungewiss. Der Rucksack – oder besser Big Pack, wie Bernhard ihn nennt – ist das wichtigste Utensil unserer Trekking-Tour. Bernhard Wache hat ihn selbst entwickelt, in jahrelanger Tüftelei. 2011 schließlich war das aufblasbare, wasserundurchlässige Wunderding fertig, mit dem wir uns nun ins Wasser wagen. Auf der Sportartikelmesse ISPO erhielt Wache dafür den Brandnew Award. Ein bisschen wie Außerirdische sehen wir aus, mit unseren wasserdichten Big Packs und den langen Carbonflossen auf dem Rücken. Der Big Pack muss so gepackt werden, dass er im Wasser nicht rollt und eine stromlinienförmige Wasserlinie einhält. Wenn er dann perfekt ausgerichtet über das Wasser gleitet, spürt man den Big Pack, der mit einer 15 Meter langen, dehnbaren Leash am Fuß befestigt ist, kaum noch. Bis auf 30 Meter kann man mit ihm in die Tiefe tauchen. Soll es tiefer hinab, muss er an der Wasseroberfläche zurückgelassen oder für kurze Zeit an einem Felsen befestigt werden. 

Ruhig lassen wir uns an diesem Tag im Wasser treiben, Allein das ist schon fast eine meditative Erfahrung. Wir schweben über Seeigel und Seegurken, eine Qualle schwimmt an mir vorbei. Ich versuche, sie zu fotografieren, und sehe, wie sie pumpt, um vorwärts zu kommen, weg von uns. Nach ein paar Stunden kommt uns im Wasser alles vor wie ein großes Spiel, Angst und Zweifel sind verschwunden. Nichts hier draußen scheint uns zurückzuweisen. Kein Wind, keine Strömung, keine Wellen. Nichts, was uns antreibt, wir haben alles dabei, was wir brauchen. Wir lassen die Zeit verstreichen, schwimmen übermütig zickzack durch die Bucht.

Kurz vor sechs. Die Unterwasserwelt hat ihre Farben verloren. Die dunklen Felsabbrüche an der Küste wirken zunehmend bedrohlich. Zeit für unsere größte Herausforderung: das Biwak auf dem Wasser. Wir binden unsere dicken Exped-Matten, die normalerweise am Mount Everest im Basecamp verwendet werden, zu einer sternförmigen Schlafinsel zusammen. An einer gekürzten, für diesen Zweck umgebauten Angel lassen wir unsere Tauchgewichte als Treibanker auf 40 Meter Tiefe sinken. Zum Abendessen gönnen wir uns eine Dose Thunfisch mit einem Müsliriegel, bevor wir uns auf unsere schwimmenden Matten auf dem Wasser zurückziehen. Unser Positionslicht schimmert an der Wasseroberfläche und lockt kleine Fische an. Obwohl: Können kleine Fische so laut plätschern und glucksen? Ein paar Sekunden lang schaukelt meine Matte ein wenig heftiger. Was bewegt sich da unter mir? Ich halte unwillkürlich die Luft an, und als ich das merke, muss ich über mich selbst lächeln. Atmen, weiter atmen, regelmäßiger atmen. Einschlafen. Ich weiß nicht, wie ich die Geister der Meere besänftigt habe, aber als ich – Stunden später – wach werde, ist das Meer um mich herum wieder spiegelglatt und blau. Ich fühle mich so schwerelos wie George Clooney in »Gravity« – nur etwas glücklicher vermutlich.

Seatrekking Ausrüstung

Wichtigstes Equipment beim Seatrekking: ein wasserdichter Rucksack

Neben Wetsuit, Maske, Schnorchel, Neoprensocken und Carbonflossen braucht der Wasserwanderer einen sogenannten Big Pack (Foto oben), in dem Proviant, Schlafsack, Zelt, Kocher und sonstiges Zubehör verstaut werden können. An Land wird das Transportgerät im Handumdrehen zum klassischen Rucksack umgerüstet.

  • Das Material

Der Rucksack ist aus 1,1 mm starken PU und doppelseitig laminiert. Die Nähte sind durchgehend hochfrequenzverschweißt. Das Material ist extrem widerstandsfähig und recyclebar.

  • Die Details

Es gibt zwei Kammern, die durch einen flexibel verschiebbaren Innensack getrennt sind. So lässt sich z. B. nasses und trockenes Equipment separat verstauen. Befüllt wird die erste Kammer über den umlaufenden und gasdichten Reißverschluss, die zweite als Toplader über den oberen Wickelverschluss.

  • Das Ventil

Das sogenannte Boston-Ventil verfügt über eine große Öffnung für den Luftfluss und ein Rückschlagventil. So kann man den Big Pack schnell und einfach via Lungenkraft unter Druck setzen.

  • Die Hydrodynamik

Das wichtigste am Seatrekking-Pack. Die dreidimensional geführten Schweißnähte ermöglichen eine stabile Wasserlage und ein geschwungenes Heck. Erst wenn der Big Pack via Ventil unter Druck gesetzt ist, entwickelt sich die Torpedoform.