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Buckelwal

Foto: Brandon Cole

Buckelwale

Walküre in der Südsee

In der Südsee findet jedes Jahr ein Naturschauspiel statt. Dann ziehen Buckelwale von der Antarktis zur Insel Moorea, um ihre Kälber zu nähren. Wer sie trifft, ist voller Ehrfurcht und Respekt

Text: Heico Forster

Es gibt Momente, die machen still. Einfach nur still. Das kann Ehrfurcht oder Achtung sein vor all dem, was das Leben ausmacht. Vor einer prächtigen Kreatur zum Beispiel, die sich tonnenschwer durchs Wasser flüstert. Die mächtig ist und doch so leise. Einen Wal zu treffen ist so ein Moment.

Aber erst treffen wir den Teufel. Parata! Wir müssen rauf aufs Boot. Merde. Mit diesem Weißflossenhai ist nicht zu spaßen. Sagt Thierry, der Bootsmann. Das ist kein harmloser Riffhai. Sondern einer, der aus der Tiefe kommt. Von ihm werden viel mehr Menschen getötet als vom Großen Weißen. Thierry ist schon zweimal von einem dieser Bestien angegriffen worden, erzählt er und schlägt sich vor seine starke, tätowierte Brust. Bloß weg hier, auf die Westseite der Insel.

Thierry hockt am Bug des Boots und schaut am Horizont nach einem Blas, der Fontäne eines Wals. Er ist ein kräftiger Kerl, langes Haar, stolzer Blick. Seine Haut ist so dunkel, dass die Tattoos darauf fast verschwinden. Er richtet sich zu voller Größe auf – wie er dort steht, könnte er der Südseeinsulaner Queequeg sein. Der mutige Harpunier aus dem Roman »Moby Dick«. Sein Autor Herman Melville ist hier in der Gegend auf einem Walfänger unterwegs gewesen. Hat sich auf Tahiti zu seinem Buch inspirieren lassen. Seinen edlen Wilden geschaffen, den Blutsbruder von Ismael.

Wir kreuzen vor Moorea, einer kleinen Insel in Französisch-Polynesien, keine elf Kilometer breit. Einer der vielen winzigen Punkte, auf die du stößt, wenn du einen Globus so drehst, dass nur noch Blau zu sehen ist. Mitten im Pazifik, mehr Wasser geht nicht. Da also schaukeln wir jetzt in unserem Schiff, auf der Suche nach Walen. Buckelwalen. Und fühlen uns klein, sehr klein. Wenn wir daran denken, dass wir zu ihnen ins Wasser steigen. Mit Schnorchel und Flossen, lautlos, wie die friedlichen Riesen. Ohne Geräte, deren Geräusche sie nur erschrecken würden. Wir waren schon so nah dran. Wenn nicht dieser verdammte Hai gewesen wäre.

Wir wollen den Walen in die Augen blicken. Ihre Nähe spüren. Die Faszination dieser göttlichen Giganten. Da ist sie wieder. Diese Ehrfurcht. Diese Achtung. Sie lässt dich schrumpfen, das Herz rasen. Die Hände feucht, den Atem schneller werden.

Foto: Tobias Friederich www.BELOW- SURFACE.com

Nur bei Michael Poole nicht. Er steht neben Thierry im Boot, lässig, fast aufdringlich gelassen. Ein schmächtiger Ami, um die 60, irgendwie. Michael trägt eine aufreizende Arroganz vor sich her. Bei Buckelwalen, sagt er, macht ihm keiner was vor. Schnauzer, Sonnenbrille, sein Base-Cap von der Sonne gebleicht. Auf seinem T-Shirt prangt das Logo seiner Firma. Sein Gesicht zeigt tiefe Furchen, vom Salz gegerbt, das Meer ist sein Leben.

Sein Vater war bei der U.S. Army, sie mussten früher häufig mit der Familie umziehen. Zogen von Küste zu Küste. Das Wasser immer vor der Haustür, es wurde seine Liebe, seine Leidenschaft. Später studierte er in Kalifornien Meeresbiologie, seitdem betreibt er wissenschaftliche Forschungen an Walen und Delfinen. Vor 28 Jahren zog ihn seine Arbeit in die Südsee. Er platzt vor Stolz, zieht wichtig seine Brauen hoch, wenn er davon redet. Gerade zum vierten Mal.

Thierry sucht weiter, sein Blick ist streng aufs Wasser gerichtet. Manchmal stiert er nur, bewegt sich nicht, als wäre er gerade eingeschlafen. Aber kein Wal kann ihm jemals entwischen. Queequeg eben. Und Doktor Poole plappert weiter, immer weiter. Er selbst nennt es dozieren, doch sein Ton klingt gelangweilt, kraftlos, blutleer. Keine Ahnung, wie oft er die vielen Storys schon heruntergeleiert hat. So viele Menschen, so viele Wale. Er muss schreien, um gegen das Brüllen des Außenborders anzustinken.

Michael weiß wirklich alles über Wale. Es gibt sieben Arten vor Moorea, sagt er. Aber nur Buckelwale kommen so dicht an die Küste. Weil sie im flachen Wasser Schutz vor den Orcas suchen. In Gruppen machen die Räuber Jagd auf die Kälber der Wale. Versuchen die Kleinen von der Mutter zu trennen, um sie dann mit ihrem Maul zu zerfleischen. Jungtiere ersaufen, wenn sie nicht nach fünf Minuten an die Luft kommen.

Sie ziehen aus der Antarktis hierher, um ihren Nachwuchs im warmen Meer herauszupressen. 6000 Meilen. Kein anderes Säugetier bringt so weite Wege hinter sich. An der Grenze zum Packeis wäre es viel zu kalt für die Kälber, weil ihnen die schützende Fettschicht noch fehlt. Vier Monate bleiben sie in den Tropen, die Jungen saugen so gierig Muttermilch, dass sie täglich 60 Kilo schwerer werden. Fünf Pfund in der Stunde. Ihre Mütter fasten in der Zeit und verlieren Tonnen an Gewicht.

 

Foto:Wolfgang Pölzer

Moorea schwimmt an uns vorbei. Paradies, Postkarte, mindestens. Eine Insel wie aus der Rumwerbung. Der schneeweiße Sand ist aber nicht echt, er wurde aufgeschüttet. Vulkane haben Moorea aus dem Meer geschleudert, die Buchten sind normalerweise schwarz. Dahinter Berge, hohe Berge, grün, sehr grün und rau. Einige so steil, dass sie noch niemals bestiegen wurden. Das Gestein wäre viel zu brüchig, um einen Kletterhaken zu halten. Die Buchten im Norden gelten als die schönsten der Welt.

Um uns herum schwappt das Meer. Wie eine heiße Badewanne. Unverschämt türkis, auch ohne Photoshop. Die meisten Leute kommen hierher, weil sie auf Hochzeitsreise sind. Oder bloß einen Cocktail am Strand schlürfen wollen. Michael grinst mit Thierry um die Wette. Nichts gegen einen guten Drink, aber es gibt hier so viele andere Dinge, die du tun kannst. Surfen. Kiten. Segeln. Nur diese bescheuerten Jetskis, die vertreiben ihnen die Wale. Michael zeigt auf die Küste, er ist erregt. Sein Schnäuzer bebt vor Wut, gerade preschen wieder ein paar dieser Spritschlucker über die Wellen. Kreischen wie riesige Möwen, spucken verächtlich Benzin ins Meer. Ich hasse sie, sagt er.

 

Fotos: Pixabay

Die Sonne sticht vom Himmel, die Luft flirrt vor Hitze. Staut sich gegen die Bootswand, Wellen klatschen an den Rumpf. Fluke! Thierry reißt uns aus der Lethargie, er hat gerade die Schwanzflosse eines Buckelwals gesehen. Dort hinten, wo die See tiefer wird und das Türkis blau, spritzt Wasser wie aus einem riesigen Schlauch. Thierry dreht das Ruder, fährt darauf zu, bis wir nur noch einen Steinwurf entfernt sind.

Zwei Wale, große Wale, Motor aus, still sein, Ehrfurcht, warten, was die beiden machen.

Schon öfter hatten wir so einen Moment. Wir waren vor Teahupoo auf Tahiti, fuhren den Säugern hinterher. Doch zu einem Wal, der schwimmt, braucht man erst gar nicht ins Meer zu steigen. Lächerlich, es mit Schwimmflossen mit den Fluken eines Wals aufnehmen zu wollen.

Gestern hatten wir so einen Moment. Ein Muttertier und ihr Kalb lagen ruhig im Meer. Sofort hing Michael am Handy, sagte anderen Bootsführern Bescheid. Ist gut fürs Geschäft, meinte er lakonisch, wenn es viele Gäste zu sehen bekommen. Sofort preschte ein weiteres Schiff mit Schnorchlern heran. Hektisch sprangen weiße Körper über Bord, eine wilde Horde, die planschte, krakeelte, schrie, prustete, es war keine Werbung für die Kreatur Mensch. Die Wale tauchten ab, einfach ab. Nur weg aus dieser lauten Welt. Sie können bis zu einer halben Stunde unten bleiben. Die Leute glotzten blöd. Zogen ab. Keiner weiß, wo Wale wieder auftauchen.

Doch heute ist endlich der Moment gekommen. Wir haben das Boot für uns allein. Kein Hai in Sicht. Kein anderes Schiff. Das Pärchen tollt entspannt vor uns. Wasser spritzt, schäumt, die Tiere bleiben auf einem Fleck. Eine Brustflosse stößt durch die Wellen, groß wie ein Auto. Sanft lassen wir uns ins Meer gleiten. Holen Luft, so tief, bis die Lungen schmerzen. Tauchen. Dann nur noch Stille. Glück zieht uns herunter, keine Spur von Angst.

Foto: Pixabay

Die Riesen stehen im Wasser, bauen sich vor uns auf. Sie wirken wie aus der Zeit gefallen. Wie Wesen aus der Prähistorie. Wirken sanft, verletzlich, trotz ihrer Masse. Unsere Sicht ist klar wie in einem Aquarium, Sonnenstrahlen brechen sich auf ihren gewaltigen Leibern. Um sie herum Delfine, alles zart, hell, leicht. Einer der beiden Buckelwale ist weiß wie Moby Dick. Er bewegt sich grazil, trotz seines Universums aus Fleisch. Moby Dick. Der Kreis schließt sich.

Dann ist das Schauspiel vorbei. Das Paar lässt sich in die Tiefe fallen, verschwindet im Dunkel der See. Lange schauen wir ihnen nach. Hoffen, dass sie noch mal hochkommen. Nichts. Das Meer hat seine eigenen Gesetze.

Zurück an Bord, es ist auffallend still. Jeder hockt da, nur für sich. Hängt seinen Gedanken nach. Auf seltsame Weise haben wir uns mit den Walen verbunden gefühlt. Vielleicht, weil sie Säuger sind wie wir? Aber anders als wir Menschen sind sie vom Land wieder ins Wasser gestiegen. Weil es ihnen dort besser gefiel? Keine Ahnung. Man muss nicht auf jede Frage eine Antwort haben. Wir wissen jetzt jedenfalls, wie lächerlich hilflose Wesen wir gegen diese anmutigen Tiere sind. Um das herauszufinden, hat sich die Reise um die halbe Welt gelohnt.