Foto: Wolfgang Pölzer

Wunderwelt im Pazifik

Der Galapagos Mann

Seit dreißig Jahren lebt Mathias Espinosa auf dem Archipel der Echsen und Haie. Tausende Male tauchte er hier ab, kennt das Meer der rauen Inseln besser als jeder andere. Ein weiter Weg für einen Mann, der aus Stuttgart kam und sich heute in der pazifischen Wunderwelt zu Hause fühlt

Text: Marc Bielefeld

Hochgewachsen steht er am Strand von Santa Cruz, dunkle Haut, grünblaue Augen, eine eher seltene Spezies hier draußen, mitten im Pazifik. Langsam bewegt er sich durch die Hitze, verweilt hier und da an einem Strauch, mustert einen Vogel. Wer ist dieser Mann? Und warum spricht er so ein komisches Bayrisch? Leicht könnte man den Deutsch sprechenden Ecuadorianer namens Mathias Espinosa für einen verstiegenen Ornithologen halten, der begeistert über Baumfinken und Schnabelgrößen redet, über die Wunder der Evolution und die Bestäubung seltener Kaktusblüten. In Birkenstocklatschen, mit runder Brille und kleinem Bäuchlein, wandelt der Spanisch sprechende Deutsche durch den weißen Sand von Tortuga Bay, zeigt auf die Meeresechsen, die auf den Steinen ruhen, deutet auf die Pelikane und die durch die Luft gleitenden Fregattvögel. Inmitten seiner Ausführungen hüstelt Espinosa, muss sich immer wieder kurz räuspern. Noch weiß man ja nicht, dass sein Husten von über zehntausend Tauchgängen kommt, von den Unmengen trockener Pressluft, die er in seinem Leben geatmet hat.

         Die Sonne brennt auf Galapagos herab. Espinosa trägt einen beigefarbenen Stoffhut, dessen Schutzlappen über Nacken und Ohren hängen wie die Schlappohren eines Dackels. Doch irgendwann, wenn man genug erlebt, wenn man zuviel Zeit auf dem Meer, auf Tauchbooten und im Busch entlegener Inseln verbracht hat, dann sind einem solche Äußerlichkeiten wohl schnurzpiepegal. Espinosa führt gerade eine Gruppe Besucher zur schneeweißen Bucht, bleibt an einer Lagune stehen und zeigt auf einen Schwarm zitronengelber Riffbarsche. Beim Tauchen, erzählt er, habe er mal gefilmt, wie ein mächtiger Leguan in das Revier eines solchen kleinen Fischs eindrang und dessen Algen fressen wollte. Erst in der Zeitlupe zu Hause erkannte Espinosa, warum die panzerhäutige Meersechse plötzlich panisch aus dem Wasser schoss. Der kleine Korallenfisch hatte die für ihn riesige Echse umkreist, hatte allen Mut zusammengenommen und dem zackigen Urvieh bei einem blitzschnellen Manöver ins Auge gebissen.

         „Ein biblisches Schauspiel“, sagt Espinosa. „David gegen Goliath.“ Leicht versonnen fügt er noch hinzu: „Riffbarsche sind sehr territoriale Lebewesen.“ Seit fast dreißig Jahren lebt der Mann auf Galapagos. Besitzt den deutschen wie den ecuadorianischen Pass, spricht so gut Deutsch wie Spanisch, dazu fast perfektes Englisch. Ein Naturbursche, Taucher, Musiker, Lebenskünstler. Vor allem einer der bekanntesten Natur-führer der Inseln. Er kennt fast jeden Vogel, jeden Fisch da draußen. Weiß, wo die Riesenschildkröten leben und bei welchen Strömungen die Hammerhaie aus dem offenen Pazifik reinkommen, um sich von den Kaiserfischen putzen zu lassen. Auch war er einer der ersten Taucher, die an den entlegenen nördlichen Inseln Wolf und Darwin regelmäßig ins Wasser gingen. Einer der wenigen, die Monate dort unten im Meer verbracht haben.

Galapagos Mann
Foto: Marc Bielefeld

   Wolf, Darwin. Es sind jene sagenumwobenen Reviere, die wegen ihrer Hammerhaischulen Weltruhm erlangten. Während so mancher Tauchgänge schwebte Espinosa auf dreißg, vierzig Meter Tiefe und blickte nach oben. Über ihm zogen die Haie in endlosen Formationen, und einmal glitten so viele durch das blaue Meer, dass sie die Sonne verdunkelten. „Es waren über tausend, wir haben sie gezählt.“ Ein Himmel voller Haie. Erhabene Szenen. Espinosa hustet kurz. Dreißig Jahre Galapagos. Drei Jahrzehnte auf den „verzauberten Inseln“, wie Herman Melville sie nannte. Charles Darwin beobachtete hier seine berühmten Finken, stellte mit seiner Evolutionstheorie danach die Schöpfungsdenke der Kirche auf den Kopf. Walfänger kamen hierher, Piraten, frühe norwegische und deutsche Siedler. Sie alle betraten ein Reich voller endemischer Tiere, Pflanzen und Arten, die über die Jahrmillionen mit sich selbst ausgekommen waren. Heute stehen die Galapagos für ein ein letztes Stück Originalnatur auf dem Planeten. Bedroht, aber doch noch intakt. Inzwischen von 28.000 Menschen bewohnt, aber noch immer weitab vom Rest der Welt. Steinige Erhebungen der tektonischen Naszca-Platte im Stillen Ozean, karge Vulkanrücken in der äquatorialen Wasserwüste. Und kaum ein anderer hat sich hier so ausgiebig umgetan wie ausgerechnet jener Mann, der eines Tages aus Kircheim unter Teck kam, aus einer Kleinstadt nahe Stuttgart.

       Viele buchen ihn heute als persönlichen Guide. Gestern erst führte er ein portugiesisches Topmodel und einen russischen Millionär durchs Hochland von Santa Cruz; die beiden wollten ganz nah an die bis zu 400 Kilo schweren und 170 Jahre alten Riesenschildkröten heran. Die Portugiesin machte Handyfotos, die Schöne und das Biest, postete das Ganze noch während der Tour auf Facebook. Eine halbe Stunde später hatte sie über zweihunderttausend Likes. „So funkioniert heute die Welt“, sagt Espinosa, kaum mehr konsterniert. An bizarre Begegnungen, keineswegs nur mit Flora und Fauna, hat er sich längst gewöhnt. Galapagos ist einer der letzten großen Namen auf der Speisekarte der betuchten Weltreisenden. Ein teures und exklusives Ziel, das auch die Schickeria anlockt, Schauspieler, Politiker, allerlei hohe Tiere mit Rang und Namen.

       Vier Tage führte Espinosa einmal den Außenminister der Arabischen Emirate durch die Inselwelt, durfte der Eminenz dabei weder in die Augen schauen noch Erlaucht eine Frage stellen. Das Gesicht des Öls wollte Galapagos sehen, wollte tauchen und Echsen knipsen, und Espinosa war sein Mann. Auch Bill Gates engagierte ihn. Eine Woche schipperte er mit Mister Microsoft auf dessen Privatyacht durch den Archipel. „Ein freundlicher, ruhiger, intelligenter Mann“, erzählt Espinosa. Oft habe Gates an Deck gesessen, zwei Bücher auf einmal gelesen. Eins in der rechten, eins in der linken Hand. „Das beste Trinkgeld, das ich je bekommen habe.“ Der Software-Tycoon Larry Ellison buchte ihn, kalifornische Spätbohemians, reiche Damencliquen. Der Microsoft-Co-Gründer Paul Allen lud ihn auf seine Yacht, als dieser eine Tour mit Wissen-schaftlern zu den Ufern der Galapagos unternahm. In Allens Privat-U-Boot tauchten sie, in gemütlichen Sesseln sitzend, auf 250 Meter Tiefe ab, es gab Orangensaft und Sandwiches, während vor den Bullaugen leuchtende Tiefseequallen pulsierten. „Mich wundert nichts mehr“, sagt Espinosa. „Wenn du auf Galapagos lebst, musst du nicht mehr verreisen, um die Welt kennen zu lernen. Die Welt kommt zu dir.“

Foto: Wolfgang Pölzer

Doch beeindrucken ihn solche Begegnungen wenig. Viel zu groß sind die Spektakel der Natur hier draußen im Pazifik, als dass einer wie er über menschliche Eskapaden noch staunen würde. Und dabei wird er nicht müde, die Wunder mit fast jedem zu teilen. So auch mit einer normalsterblichen blonden Touristin aus dem norddeutschen Flachland, die sich während einer Reise durch Ecuador fünf Tage Galapagos leistet, in einem schlichten Gasthaus wohnt und heute einen Ausflug gebucht hat. Ob sie Lust habe, die schlafenden Haie zu sehen, fragt er. Es stünde eine gute Tide, und heute könne man sie sehr wahrscheinlich antreffen. Sie müssten sich nur Maske und Schnorchel schnappen und auf die andere Seite der Bucht schwimmen. Nein, nicht gefährlich. „Junge Weißspitzenriffhaie“, sagt Espinsosa. „Sehr schöne Tiere.“

       Kurzdarauf schwimmen die beiden raus, das Wasser in der Lagune ist grün und trüb, fast null Sicht. Die deutsche Frau ist ein bisschen ängstlich, steckt immer wieder den Kopf wie ein Schildkröte aus dem Meer. Espinosa nimmt sie behutsam an seine Seite, bis die beiden den Mangrovengürtel erreichen. Dunkles Grün wabert vor der Maske, der algige Meersboden ist kaum zu erkennen. Immer näher kommt das Gestrüpp, knorrige Wurzeln und Stränge wedeln am Grund. Ein unheimlicher Moment, weit ab vom Strand, in einer Welt voller wilder Tiere. Dann zeigt Espinosa, Kopf unter Wasser, auf einen Schatten. Auf einen zweiten, einen dritten. Die Schatten sind direkt unter den beiden. Und dann sind sie genau zu erkennen. Sechs, sieben, acht, neun, zehn junge Riffhaie, manche über einen Meter lang, liegen da auf dem flachen, sandigen Grund. Ruhen, ziehen kleine Kreise. Ihre weißen Flossenspitzen sind zu sehen, die kantigen Mäuler, die grauen, schlanken Körper. Ein unterdrücktes Freudekreischen steigt aus dem Schnorchel von Frau Makris aus dem deutschen Kehdingen. Noch nie ist sie groß im Meer geschwommen. Noch nie ist sie einem Hai begegnet, geschweige denn dem eleganten Jäger so nahe gekommen – so nah, dass sie jetzt nur den Kopf ein wenig hinabsenken müsste, um Triaenodon obesus einen Kuss auf den Rücken zu geben. Ein kleiner großer Moment, irgendwo in den namenlosen Mangroven der Galapagosinseln. Espinosa nimmt den Schnorchel aus dem Mund, flüstert übers Wasser. Scheue Tiere, würden die leichte Strömung bei Ebbe mögen. Man dürfe nicht zu oft zu ihnen hinausschwimmen, sonst würden sie eines Tages nie mehr wieder kommen. Zurück am Strand trocknet er sich ab. Schnappt sich seinen Schlapphut, geht durchs Unterholz und lauscht einer spitzschnäbligen Spottdrossel bei ihrem Nachmittagskonzert.

Espinosa, 54, Mutter Deutsche, Vater Ecuadorianer, wurde 1963 in Deutschland geboren. Zehn Jahre lebte er dort, wuchs zweisprachig auf, es folgten acht Jahre Quito und die Rückkehr nach Deutschland. Dort jobbte er, arbeitete bei Mercedes am Fließband, als Tellerwäscher im Frauenkloster am Chiemsee. Auf Handwerks-messen in Bayern verkaufte er Berberteppiche, ging er doch nur allzu leicht als Marokkaner durch. In München besuchte er die Journalistenschule, arbeitete als Korrespondent in Südamerika. 1988 reiste er ein zweites Mal auf die Galapagos, die es ihm schon beim ersten Besuch angetan hatten. Wenig Menschen, viele Tiere. Das Meer. Ein Leben im pazifischen Abseits, das ein so süßes wie herbes Vergnügen versprechen würde. Espinosa überlegte, entschied zu bleiben. Er las die Werke Darwins. Erkundete die Küsten, stapfte auf die Vulkane und machte die Ausbildung zum Natur-Guide. Fünf Dollar hatte er in er Tasche, als er seine Karriere auf den Galapagos begann. Als Führer arbeitete er für die deutschen Siedler auf den Inseln, die Angermeyers, die Siebers. Landete bald auf den Tauchbooten und ging das erste Mal auf Tiefe. Mondfische, Wale, Haie, Seelöwen. Das Meer sprudelte vor Leben, und er sah es mit eigenen Augen: Die wahren Wunder des berühmten Archipels warteten unter Wasser.

      

Foto: Tobias Friedrich www.BELOW-SURFACE.com

Acht Jahre lebte er mit seiner Frau María auf der Insel Isabella, damals der „wilde Westen“ der Galapagos, ein Dasein wie hinterm Mond. Seine beiden Söhne wurden dort geboren, und statt mit Playmobil spielten die Kinder mit Riesenschildkröten und Seehunden, lernten bald aber auch die Nachteile ihres Edens kennen. Die Fischer waren gleichzeitig die Lehrer der einzigen Dorfschule, sie kamen betrunken zum Unterricht, verschwanden immer wieder für Tage auf ihren Booten. Die Insel Isabella war das Abseits im Abseits, die Enklave einiger Aussteiger, Hippies und Desperados – ein höllisches Paradies.

       Espinosa zog es in die Tiefe. Er machte sämtliche Tauchscheine, verbrachte in den kommenden Jahren mehr Zeit unter Wasser als die meisten anderen. Heute bildet er selbst Tauchlehrer und angehende Natürführer aus. Auf den Galapagos ein begehrter Job. Die Universität von San Francisco wählt unter 3000 Bewerbern alle vier, fünf Jahre rund 140 Aspiranten aus, die eine fünfmonatige Ausbildung absolvieren müssen. Die Prüfung schaffen längst nicht alle. Biologie, Geologie, Geschichte, Umweltschutz. Viel Wissen ist gefragt, um von der Verwaltung des Nationalparks als Guide angestellt zu werden. Espinosa aber reichte das nicht; 1995 gründete er seine eigene Tauchbasis, Scuba Iguana, und fährt seidtem mit seinen eigenen Booten raus. Unten im kleinen Puerto Ayora liegen Wassertaxis, Yachten und Boote vor Anker, es gibt ein paar Restaurants, Gasthäuser, Geschäfte, einen Supermarkt. Die Hauptstadt von Galapagos. Ein kleines buntes Dorf am Meer, in dem sich Touristen und Einheimische mischen. Am Fischmarkt blasen die Pelikane ihre Schnäbel auf, Fregattvögel schnappen nach Fischbrocken. Auf der Pier liegen Seehunde, watscheln zwischen den Menschen am Ufer umher. Überall liegen die Iguanas in der Sonne, die berühmten Galapagos-Echsen. Man muss aufpassen, um nicht über sie zu stolpern.

Foto: Tobias Friedrich www.BELOW-SURFACE.com

Die Tiere hier scheren sich nicht um die Menschen, bis heute haben sie keinerlei Scheu entwickelt. Auf einer Bank sitzt ein Tourist. Neben ihn flätzt sich, beinahe gelangweilt, ein junger Seelöwe. Das Tier mit dem dicken Pelz gähnt, klappt seine Schwanzflosse auf den Schoß des Touristen. Galapagos, das scheint bis heute ein einziger, verrückter Zoo zu sein. Ein Experiment, das keines ist. Dies ist noch immer die Wildnis. Und der Mensch lediglich zu Gast.

Am nächsten Morgen ist Espinsosa um sieben an seiner Tauchbasis, prüft die Flaschen, macht seine Ausrüstung fertig. Echsen kriechen über den Steg, langsam steigt die Sonne über die Inseln, die sich wie braune Gerippe aus der See erheben. Um acht fährt das Boot durch eine schmale Rinne hinaus aufs glasgrüne Meer, und Espinosa zeigt auf eine Stelle in der Bucht, wo er mit einer Schülerin mal einen Tauchgang machte. Sie waren nicht tief, acht, neun Meter, als aus dem Blau ein Schatten platzte. Ein sieben Meter langer Orca schwamm auf sie zu, musterte die beiden vor sich hin blubbernden Menschen. „Die Schülerin machte Augen, so groß wie ihre Maske“, erinnert sich Espinosa. Auch er hielt den Atem an, doch der gewaltige Orca verschwand ohne weiteres Interesse. Mit Rendezvous’ dieser Art müssen Taucher auf den Galapagos rechnen. Der Fischreichtum zwischen den Inseln ist bis heute enorm. Kaltwasserströme aus dem Westpazifik steigen bei den Galapagos aus über 3000 Meter Tiefe auf, wälzen sich gegen die Insel Isabella und strömen in den Archipel. Sie spülen Massen an Nahrung und Plankton herbei, versorgen Krebse, locken Kleinfische und Großfische an, sämtliche Nutznießer der Nahrunsgkette.

       Zwar wird zwischen den Inseln immer wieder illegal gefischt, schneiden Fischer den Haien die Flossen und den Seehunden die Penisse ab, um den asiatischen Markt zu beliefern. Doch die Bemühungen des schon 1959 eingerichteten Nationalparks greifen. „Generell geht es den Inseln gut“, sagt Espinosa. „Als Schwellenland hat Ecuador sehr früh begriffen, welcher Schatz die Inseln sind.“ Heute sind 97 Prozent der Fläche des Archipels als Nationalpark geschützt, 1998 wurde im Norden ein weiteres Marine-Reservat errichtet. Doch wollen immer mehr Ecuadorianer vom Festland hierher ziehen, um am Geschäft mit den Touristen teilzuhaben. Die Gesetze und Limitierungen müssten also noch verschärft werden. Sonst könnten zunehmender Tauchtourismus, Kreuzfahrtschiffe, der ganze moderne Besucherstrom am Ende auch Galapagos überrollen.

Foto: Wolfgang Pölzer

Das Boot geht auf Kurs Nordwest, zweimal 200 PS treiben eine breite Schaumspur ins 26 Grad warme Meer. Espinosa will am Gordon Rock tauchen, einem Tuffkegel in der See. Starke Strömungen herrschen dort draußen, aus über zweihundert Meter steigen die vulkanischen Ascheablegerungen aus der Tiefe. Steilwände, an denen das Meer vor Leben brodelt und sich auch die Hammerhaie regelmäßig einfinden. Das Boot stoppt kurz in den kabbeligen Wellen, rückwärts lassen sich die Taucher ins Meer fallen und sinken sofort hinab. Ein trüber Planktonregen stiebt ihnen entgegen, diffus treten die Vulkanfelsen ins Bild. Die Taucher tragen Handschuhe, um sich an den Vorsprüngen festzuhalten, verankert in der strömenden Flut. Espinosa kennt fast jeden Stein hier unten, jede Nische in dieser sich wie ein unterseeisches Amphitheater öffnenden Welt. Über zweitausend Mal ist er allein schon am Gordon Rock abgetaucht.

       Bald sondert er sich von der Gruppe ab, taucht in über dreißig Meter Tiefe in eine Sprungschicht hinein. Das Wasser beginnt zu flirren, wird empfindlich kälter. Espinosa schwimmt schnell, wenige Flossenschläge genügen ihm, treiben ihn regelrecht voran. Ein Fisch selbst. Ein Mann, für den das Tauchen kein Abenteuer mehr ist, sondern ein Zustand. Der Normalzustand. Und längst scheint er instinktiv zu wissen, wo und wann die großen Fische auftauchen. Sein Arm deutet auf einen ersten Riffhai, der wie ein Düsenjäger links über einem vorbeizieht. Dann wieder nichts als amorphes Blaugrau, in das man starrt. Eine Muräne, dick wie ein Oberschenkel, löst sich plötzlich aus einem Felsloch, windet sich wie eine fließende Sinuskurve durchs offene Wasser. Espinosa beachtet sie nicht einmal, stiert ins freie Meer. Dort taucht der erste Hammerhai auf. Ein massives Tier, fast drei Meter lang, sein grotesker Kopf, seine spitzen Flossen. Mühelos fliegt er vorbei, wie ein großes, muskulöses Geschoss. Leicht dreht er seinen Kopf, verschwindet im offenen Meer.

       Oft würden sich die großen Hammerhaiweibchen in die Strömung legen, hatte Espinosa oben noch erzählt. Bei der Paarung beißen sich die Männchen in ihren Nacken fest, hinterlassen Wunden in der Haut. Parasiten nisten sich ein, Bakterien. Bei den Galapagos tauchen die Weibchen dann in Herscharen auf, um sich von den Kaiserfischen in aller Ruhe putzen und reinigen zu lassen. Nahrung für den kleinen, Hautpflege für den großen Fisch. Weil Haie keine Schwimmblase besitzen, sinken sie dabei langsam auf Tiefe. Espinosa hat schon gesehen, wie sie sich von fünf auf vierzig Meter durchsacken ließen, umschwärmt von den Putzerfischen, regungslos in der Strömung schwebend wie hellgraue Kampfjets.

       Dann geschieht es. Sieben Hammerhaie auf einmal schälen sich aus dem Blau, schwimmen schräg auf die Felsen zu, steuern Espinosa frontal an. Ein Geschwader im Formationsflug, kaum Notiz nehmend vom menschlichen Besuch. In wenigen Metern Abstand drehen sie ab, gleiten vorbei, mit einem beiläufigen Wink ihrer Schwanzflossen und in perfekter Choreografie. Ihre Kiemen sind zu sehen, die seltsam neugierigen Stielaugen am Ende ihres Cephalofoil genannten doppelendigen Kopfs. Irrwitzige Wesen, die seit dem Paläozän, die seit sechzig Millionen Jahren durch die Ozeane schwimmen.

Foto: Wolfgang Pölzer

Doch die Vorstellung beginnt erst. Noch während die Haie vorbeiziehen, tauchen oben an den Felsen weitere Riffhaie auf, paddelt eine Schildkröte des Weges und flutscht ein brauner Seelöwe durch die Fluten. Schwärme von Lippfischen stromern durchs Meer, auf den Steinen kleben kreischend blaue Nacktschnecken, orangegrün gemusterte Seesterne, derweil ein Schwarm silbriger Barrakudas zum Greifen nah kommt und das Meer vor Leben schwirrt, wohin der Taucher seinen Kopf auch dreht.

       Als der Tauchgang nach sechzig Minuten beeendet ist und Espinosa zurück aufs Boot klettert, nennt er es einen schlechten Tag. „Zuviel Plankton, keine Sicht“, sagt er und hebt sich die Tarierweste vom Rücken. Er hüstelt, hält sich die Nase zu. Sein Beruf und seine Passion, das Meer, haben inzwischen auch einen Preis gefordert. Nach all den Tauchgängen haben seine Trommelfelle gelitten, seine Tuben im Mittelohr Schaden genommen. Seit zwei Jahren muss er vor jedem Tauchgang Nasenspray schnupfen, um unter Wasser den Druckausgleich noch zu schaffen. Doch besitzt er zum Glück noch eine weitere, dem Meer allerdings eher poetisch verbundene Leidenschaft.

Am Abend steht Espinosa mit einer Gitarre in seiner Küche, spielt einen spanischen Folksong. Mit den Iguanamen, amerikanischen Bluesmusikern und einem Vietnamveteran, hat er schon eine Platte aufgenommen, auf der entlegenen Insel Isabella ein Musikstudio eingerichtet. Seit Jahren schreibt er Stücke, singt mit seiner Frau María. Mehrere CDs hat er herausgebracht, seine Songs wurden schon landesweit im ecuadorianischen Radio gespielt. „Die Musik“, sagt er, „ist das einzige, das mir das Tauchen ersetzen könnte.“ In zwei seiner Songs aber konnte er die Finger nicht lassen von den Fischen und dem Meer. Von den Bildern, die er da unten im Laufe der Jahre gesehen hat. Ein Song handelt von den Hammerhaien, davon, dass sie keine Menschen fressen, sondern lieber Tintenfische und Stechrochen. Ein anderes Stück besingt einen jungen Seehund, es heißt „Mochito“, was auf Spanisch Stumpen heißt und ein abgebissenes Gliedmaß beschreibt. Der kleine Seehund verlässt seine Mutter, landet in einem Fischernetz, wird von einem Hai attackiert und verliert Teile seiner hinteren Flossen. Aber der kleine Kerl gibt nicht auf. In dem Song des singenden Tauchers Mathias Espinosa schwimmt der Seehund bald das erste Mal auf große Tiefen, lernt die Tücken des Lebens kennen, wird groß und stark und schnappt sich schließlich sein Glück.

       Ein Harem – zwanzig bildhübsche Seehundweibchen, die ihn vergöttern und bis zum Ende seiner Tage begleiten.

Foto: Wolfgang Pölzer